Rekommunalisierung von Wärme und Strom: Ein Land unter Spannung

Ab heute ist nicht nur die Fernwärme wieder ein Berliner Produkt, auch der Strom wird nach Hause geholt. Ändern wird das jedoch erst einmal nichts.

Das beleuchtete Heizkraftwerk Mitte bei Nacht in Berlin

Heizt nicht nur ein: Kraftwerk Mitte Foto: imago

BERLIN taz | Berlin holt „die Wärme nach Hause“: So lautet das Motto des Festakts, mit dem der Senat am Freitagvormittag ins Heizkraftwerk Mitte an der Köpenicker Straße einlädt. Gefeiert wird die am Donnerstag besiegelte Rekommunalisierung der Vattenfall Wärme GmbH – eine Übernahme, die sich das Land rund 1,4 Milliarden Euro kosten lässt. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner und Finanzsenator Stefan Evers (beide CDU) sowie Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) werden sich stellvertretend für alle BerlinerInnen darüber freuen, dass – wie es immer heißt – das „Wärmenetz“ ab sofort wieder ihnen und nicht einem schwedischen Staatskonzern gehört.

Was bislang untergegangen ist: Nicht nur sind das 2.000 Kilometer lange Wärmeverteilnetz und die dazugehörigen Kraftwerke jetzt wieder Landeseigentum. Die zehn großen Heizkraftwerke wie Reuter West, Moabit, Mitte oder Klingenberg und die 105 kleineren, über die ganzen Stadt verteilten Blockheizkraftwerke produzieren nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung auch gewaltige Mengen Elektrizität. Berlin holt also nicht nur die Wärme, sondern auch den Strom nach Hause.

Dabei handelt es sich nicht bloß um ein überschaubares Nebenprodukt der Wärme­erzeugung: Tatsächlich speiste die Vattenfall Wärme GmbH im vergangenen Jahr gut 6.000 Gigawattstunden (Gwh) ins Berliner Stromnetz ein. Das ist ungefähr die Hälfte des gesamten Stromverbrauchs im Land und das 1,5-Fache dessen, was Berlins Privathaushalte benötigen. Dagegen sind die 2014 gegründeten landeseigenen Berliner Stadtwerke ein Zwerg: Deren Windräder und Photovoltaikanlagen erzeugten 2023 mit etwas mehr als 100 GWh gerade mal ein Sechzigstel dieser Menge.

Stadtwerke mal sechzig

Der neue Berliner Strom kommt freilich immer noch zu fast 95 Prozent aus den fossilen Brennstoffen Steinkohle und Erdgas – genau wie die Fernwärme, die ja im selben Prozess entsteht. Für Vattenfall hat das den angenehmen Nebeneffekt, dass der Konzern nun kein einziges Kohlekraftwerk mehr betreibt, weder in Deutschland noch anderswo. Grüner wird das von den Schweden verkaufte Produkt dadurch allerdings nicht wirklich: Der in Berlin erzeugte Strom fließt weiterhin in das Verbundnetz ein, aus dem sich alle Versorger „bedienen“.

Und das Land? Kann im Prinzip nichts anderes mit dem vielen Strom anfangen, als ihn an der Börse feilzubieten. Dass ihn die Stadtwerke als bestehender Elektrizitätsversorger verkaufen, funktioniert technisch nicht – wegen der gekoppelten Erzeugung von Wärme und Strom –, es liefe aber auch deren Unternehmensziel zuwider, die BerlinerInnen ausschließlich mit Ökostrom zu beliefern.

Und auch wenn das Land nun mit eigenen Kraftwerken und eigenem Stromnetz weit mehr als alle Berliner Haushalte versorgen kann: Vattenfall – als reiner Vermarkter – bleibt der sogenannte Grundversorger. Das ist per Definition das Unternehmen, das in einem Teilnetz die meisten HaushaltskundInnen betreut.

Auf einem anderen Blatt steht, was das Land als Grundversorger überhaupt leisten könnte: Im Gegensatz zur Fernwärme, einem lokal begrenzten Produkt, wird Strom in das europaweite Verbundnetz gespeist. Sein Preis entsteht an der Börse, der Markt für VerbraucherInnen ist dereguliert. Die Spielräume für Sozialkontingente oder die Festlegung von Industriestrompreisen – Kostenfaktoren, die sich in den Tarifen niederschlagen würden – sind damit stark begrenzt.

All das dürfte dazu beitragen, dass mit dem Rückkauf von Wärme und Strom zwar die wichtigste Forderung des knapp verfehlten Volksentscheids von 2013 erfüllt wird, der Jubel darüber sich aber in Grenzen hält. Hinzu kommt das in den vergangenen zehn Jahren noch einmal stark gewachsene Bewusstsein für die Bedeutung einer klimaneutralen Erzeugung von Wärme und Strom.

Den steinigen Weg dorthin hat das Land noch zu gehen. Zwar hat Vattenfall im vergangenen Jahr, noch vor Verkündung seiner Verkaufsabsichten, einen „Dekarbonisierungsfahrplan“ vorgelegt, der den Ausstieg aus Kohle und Gas bis spätestens 2045 vorzeichnet. In der Klimaszene schlägt man darüber aber nur die Hände über dem Kopf zusammen. Unter anderem sieht der „Fahrplan“ ein Hochfahren von Biomasse, in erster Linie Holz, auf ein Sechstel der eingesetzten Energiequellen vor. Dagegen protestierte vor Kurzem ein Bündnis aus Umweltorganisationen vor dem Roten Rathaus, es befürchtet einen Raubbau an Wäldern.

Zum anderen setzt der Fahrplan stark auf den Einsatz von Wasserstoff. Hier bezweifeln viele Fachleute, dass dessen Erzeugung und Verteilung in großem Stil zu vertretbaren Kosten möglich ist. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe teilt vorläufig nur mit, die von Vattenfall vorgelegten Dekarbonisierungspläne „dokumentierten“ den „Willen der Betreiber, sich ihrer Aufgabe zu stellen“. Nach der Übernahme werde man alle Planungen gemeinsam mit dem neuen kommunalen Unternehmen ­einer „sorgfältigen Überprüfung“ unterziehen.

Für Sebastian Scheel, energiepolitischen Sprecher der Linksfraktion, ist es Berlins „große Aufgabe, in den nächsten Jahren ein schlüssiges Konzept zur Wärmeerzeugung jenseits fossiler Brennstoffe vorzulegen“. Er plädiert für die Überarbeitung des Plans „unter Einbeziehung aller Wärmepotenziale, wie Geothermie, Großwärmepumpen oder Abwärmenutzung“.

Wärme aus Strom

Was den Strom angeht, verweist Scheels Kollege Stefan Taschner von den Grünen darauf, dass im Zuge der Dekarbonisierung auch deutlich mehr Wärme mit Strom produziert werden wird – durch Großwärmepumpen oder sogenannte Power-to-heat-Anlagen, wie sie heute schon entstehen. Damit würde weniger landeseigener Strom auf den Markt geworfen – an der Notwendigkeit, ihn klimaneutral zu erzeugen, ändert das aber nichts.

Taschner setzt darum weiter auf die Stadtwerke, in deren Gestalt der Strom schon vor Jahren „nach Hause“ gekommen sei. Die aber haben, um ein gewichtiger Player zu werden, noch einen weiten Weg vor sich.

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